Ich bin ja einer, der beim Barfußlaufen immer wieder vor einer Gefahr warnt: Barfußlaufen im Schnee. Ich hab mir dabei an den Zehen schon mehrmals Erfrierungen zweiten Grades zugezogen und weiß, dass die Heilung etwas länger dauert und die betroffenen Körperteile eine ganze Weile empfindlich bleiben. Da waren die Bedingungen allerdings nicht so günstig. Viel zu kalt, lockerer Pulverschnee, zu lange unterwegs.
Dennoch packt mich gerade wieder die Versuchung. Das Schneeteufelchen auf der linken Schulter brüllt mir seit Tagen mit einem Mega-Megaphon ins Ohr, dass es fürs Barfußlaufen im Schnee keinen besseren Moment gebe, als genau diesen jetzt. Temperaturen um die Null Grad und pralle Sonne. Dazu von vielen Wanderern flach getrampelter Schnee, der den Wärmeverlust über die Fußsohlen minimiert. „Das hast Du ja sogar in Deinen 5-Jahre-Barfußschmöker und Deinen Leitfaden geschrieben, dass es jetzt geht“, tönt es schrill in mein Ohr. „Schon vergessen? Worauf wartest Du denn noch?“
Das Engelchen auf der rechten Schulter leistet nur geringe Gegenwehr, dreht nur besserwisserisch und etwas beleidigt den Kopf nach oben und bemerkt spitz: Der Herr Barfußexperte muss ja wissen, was er tut.“
„Ja, weiß ich auch“, sage ich laut, als ich von unserem verschneiten Haus barfuß losziehe.
Es geht erst einmal hinauf zur Alpe Beichelstein, etwa 70 Höhenmeter weiter oben. Eine schmale Asphaltstraße zieht dort hinauf, die im Sommer mit dem Auto reichlich von fußfaulen Touristen und ebenso fußkranken Einheimischen benutzt wird, um auf der Aussichtsterrasse ein Bier oder eine Schneemaß zu schlürfen. Es führen auch herrliche Wanderwege dahin, aber Auto ist Auto und Schnaps ist Schnaps.
Was eine Schneemaß ist? Ein besonders von der hiesigen Damenwelt geschätztes Kaltgetränk mit einem viertel Liter Doornkaat, Fanta und etlichen Kugeln Vanilleeis. Serviert wird das Ganze gut verquirlt im Maßkrug und einigen dicken Strohhalmen zum gemeinschaftlichen Trinkerlebnis, so wie man es von bestimmten Urlaubsinseln kennt.
Heute traut sich offenbar keiner mit dem Auto rauf, denn unterwegs lauert noch hin und wieder die eine oder andere Eisplatte. Wenn’s da nicht weitergeht, darf man rückwärts den ganzen Weg wieder runterfahren. Es ist aber auch zu albern. 10 Minuten sind es nur zu Fuß über das Sträßchen. 30 – 45 min über einen herrlichen Wanderweg. Aber was red ich, das ist die heutige Zeit. Dem Almwirt Bertl ist’s eh egal, Hauptsach die Leit lassn’s a Geald da.
Heute ist die Asphaltstraße jedenfalls genial. Autofrei und von der Sonne auf Kuscheltemperatur gebracht.
Davon ahnen die Wanderer natürlich nichts, die mir mit weit aufgerissenen Augen entgegenkommen. „Ja frieren sie denn gar nicht?“ Wie sagt Barfußautorin Sabrina Fox immer so schön: Die Augen sagen, es ist kalt, aber was wissen die schon, die sitzen warm eingepackt im Kopf. Genau so ist es. Aber glauben tut einem das so gut wie keiner. Meine Füße genießen jedenfalls ausgiebig den warmen Asphalt, meine Augen den Ausblick. Ideal um die Seele zu wärmen und die Wärmespeicher der Füße für den folgenden Marsch im Schnee zu füllen. Schon unterwegs und erst recht oben auf der Alm hat man einen unvergleichlichen Panoramablick auf die Alpen. Den Wetterstein mit der Zugspitze, die Ammergauer Alpen, die Lechtaler und die Allgäuer Alpen. Alle stehen sie, mit Schnee reichlich bedeckt, neben- und hintereinander gestaffelt da. Die Fernsicht ist klasse und man kann sein Glück kaum fassen. Mei, is des schee.
An der Alpe Beichelstein gehe ich erst mal vorbei, denn jetzt kommt er: der erste Wegteil mit Schnee. Ein toller Panoramaweg in praller Sonne.
Auf den ersten Metern beißt der Schnee ein wenig in den Fußsohlen, aber der Schmerz hält sich sehr in Grenzen, genau wie erwartet. So muss das sein. Alles andere wäre bereits der erste energische Fingerzeig, den Blödsinn lieber zu lassen. Die Zehenoberseiten verfärben sich knallrot und zeugen von der prächtigen Durchblutung.
Aaaber, darauf kommt es ja gar nicht an. Die Zehenunterseite, die ist wichtig. Die darf nicht weiß werden. Denn dann hat die Regelungszentrale im Gehirn den feinen Blutkapillaren der Lederhaut den Saft und damit auch die Heizung abgedreht. Bauernopfer im Interesse des restlichen Körpers, vor allem der Körpermitte, wo die lebenswichtigen Organe sitzen. Die müssen unter allen Umständen warm gehalten werden, wie auch in unserem Winter-Tipp nachzulesen ist.
Aber ich habe vorgesorgt und mich trotz Sonne warm eingepackt, fast ein bisschen zu viel. Auf dem Weg zur Alpe bin ich ein wenig ins Schwitzen gekommen. Aber dies ist grad gut. Denn dann muss der Körper die überschüssige Wärme loswerden, z.B. über die Füße. So wird ein Schuh draus. Na ja, net direkt, ihr versteht’s scho.
Zur Sicherheit hab ich die Skinners dabei. Die kann man prima gerollt in der Anoraktasche mitnehmen.
Eine neue Gefahr gibt’s jetzt: die nicht fußlahmen Wanderer, die einem begegnen und endgültig nicht mehr aus dem Staunen herauskommen und eine Menge Respekt äußern. „Ja geht denn das?“ und ähnliches gibt es jetzt zu hören. „Klar geht das“, antworte ich strahlend, „Heute sogar ganz wunderbar, bei dem Wetter. Aber stehen bleiben mag ich jetzt lieber nicht, damit die Muskeln weiter Arbeit haben und Wärme abgegeben, Sie verstehen?“ Klar verstehen das die Leute und gehen, schon etwas sachverständiger, weiter ihres Weges.
Nach ein paar hundert Metern bekommen die Füße sowieso wieder ein wenig Entlastung. Es gibt ein freigeapertes, kurzes Asphaltstück, wo ich mir die Füße wieder etwas aufwärmen kann, bevor das nächste, wesentlich längere schneebedeckte Wegstück zu bewältigen ist. Ich pfusche sozusagen ein wenig am Barfußheldentum herum. Aber, Leute, aus dem Alter bin ich raus, dass ich anderen fast zwanghaft vorführen muss, was für ein toller Typ ich bin. Die Gesundheit meiner Fußsohlen geht vor.
Als ich wieder auf dem Schnee angelangt bin, checke ich weiter regelmäßig, ob die Fußunterseite noch rotes Licht gibt, was natürlich in Wirklichkeit grün bedeutet. Alles klar? Die Barfußampel hat ja andere Farben. Rot = freie Fahrt; Weiß = Halt, nicht weiter; Schwarz = Tja, das war wohl nichts; Und durchsichtig = Zeh ist ab, sorry… Erfrierungen deuten sich auch dadurch an, dass sich das Laufen so anfühlt, als sei man auf einer dämpfenden Filzunterlage unterwegs. Die Kältesensoren haben dann ihre Arbeit endgültig eingestellt und melden nur noch ein tumbes Wohlgefühl. Höchste Eisenbahn, jetzt die Schuhe anzuziehen.
Aber heute ist alles weiter bestens.
Das zweite Schneestück ist sehr viel länger als das erste, es geht bis zum Weiler Goimenen, etwa anderthalb Kilometer von der Alpe entfernt. Hie und da steht auch eine Bank, auf der man ausruhen, die Landschaft genießen und die Zehen aufwärmen kann.
Ich könnte jetzt immer weiter laufen, bis zum Wanderparkplatz der Alpe, und von dort über die langweilige Asphaltstraße nach Hause. Aber der Untergrund ist plötzlich vereist. Ab Goimenen wird der Schnee oft geräumt, das Ergebnis ist eine unangenehme Schlittschuhstrecke. Entsprechend unangenehm zu laufen und wegen des viel höheren Wärmeübergangs wirklich kalt und gefährlich für Zehen und Fußsohle.
Darauf habe ich keine Lust und spare mir deshalb das zweite Wegstück, das ohne Bergsicht durch Wald und Wiesen verläuft. Ich drehe um und bleibe auf der Höhe mit der fantastischen Sicht.
Als ich wieder an der Alpe ankomme, bin ich über zweieinhalb Kilometer weit auf Schnee gelaufen, habe viele Leute getroffen und sie schwer damit beeindruckt, was unsere Füße zu leisten imstande sind. Vor allem aber bin ich froh, dass meine Fußsohlen keinen Mucks von sich gegeben haben und bestens intakt sind. Als ich auf einen Drink (nein, keine Schneemaß!) in die Hütte einkehre, bleibt auch der für Erfrierungen typische Erwärmungsschmerz aus. Alles bestens, so muss es sein.
Der Almwirt Bertl und sein Kollege Tobi sagen schon lang nix mehr, wenn sie mich so sehen. „Du bist scho a Wilder“, bekomm ich höchstens zu hören.
Und das ist schon fast ein dickes Lob, denn wie sagt man im Allgäu:
It g’schumpfe isch gnua globet! (Nicht geschimpft ist genug gelobt)
Ich bin Jahrgang 1955, Vater zweier erwachsener Töchter, und verbringe seit dem Sommer 2016 viel Zeit im traumhaft schönen Allgäu bei Füssen, wo Eva schon länger ihr Zelt aufgeschlagen hat. Hier kann ich zusammen mit ihr meiner Berg- und Radfahrleidenschaft frönen. Barfuß lebe ich seit 2012. Ich bin Autor von „Fünf Jahre barfuß„.
Was mich in diesem Zusammenhang interessiert, und was ich auch bei Liebermanns Evolutionserklärungen nicht gefunden habe:
Der Mensch ist ganz offensichtlich nicht zum Barfußlaufen im Schnee gemacht. Als Beleg mag -neben den grauenhaften Erfahrungen von MHVs Freund- dienen, daß weder die Sami noch die Inuit auf die Idee kommen, im Schnee barfuß rumzurennen (außer vielleicht mal kurz nach der Sauna).
Unseren Haustieren ist das aber merkwürdigerweise egal: obwohl sie kein Fell unter den Pfoten oder Tatzen haben, also quasi auch barfuß laufen, bekommen Hunde und Katzen keine Erfrierungen im Schnee (außer bei Extremtemperaturen). Wenn ich mal so nachrechne, kam unser Kater pro Tag auf ungefähr zwei Stunden Aktivität draußen, der Rest war fressen und schlafen. Die meisten Hunde haben sicher leider noch weniger Freigang. Da sind wir hier im blog wohl fast alle genausolange täglich draußen barfuß unterwegs. Und unter zarten Katzenpfötchen ist doch eigentlich auch nicht mehr Platz für eine Isolierschicht als unter meinen Hobbitflunken.
woran liegts?
Hallo Thomas,
hier findest Du eine Erklärung für Deine Frage.
So etwas haben wir Menschen leider nicht…
Gruß,
Wolfgang
Moin Wolfgang,
fehlt da ein link?
Das ist moderne Technik. Du musst auf das blaue ‚hier‘ klicken… 😉
Nachtrag: Sehe gerade, dass ‚hier‘ erst blau angezeigt wird, wenn man draufzeigt. 🙁
Netter Bericht aber extreme Gefahr!
Was sich hier so schön harmlos und völlig normal anhört, hat heute für einen Bekannten zur Katastrophe geführt!
Er war mehr als 2 Stunden barfuß joggen im Winter, hat die Erfrierung nicht bemerkt und liegt jetzt schwerverletzt im Krankenhaus, wo man ihm die Hautfetzen abschneiden muss, wo sie noch nicht abgegangen sind. Er hat an beiden Füßen nur noch rohes Fleisch an den Fersen, den Ballen, die großen Zehen sind fast komplett offen, die anderen Zehen nach diesen 3 Stunden teils schwarz und es ist fraglich, ob er eine Transplantation braucht und evtl. sogar mehrere Zehen verliert.
Es sieht aus, als wäre er auf einer heißen Platte gestanden, bis die Haut festgebraten ist und hätte sich die komplette Haut dann bis aufs Fleisch runtergerissen. Alles hängt in Fetzen runter und was da noch weiter in der Tiefe erfroren ist, wird man erst in ein paar Tagen bis Wochen sehen.
So viel zur „romantischen“ Winterlandschaft ohne Schuhe und ohne das Fachwissen eines Experten.
Es gibt halt Leute, die sich von so etwas wie hier begeistern lassen und nicht genug Wissen mitbringen. Jetzt sitzt ein Mensch erst mal für Wochen im Rollstuhl und man muss sehen, wie schlimm die Spätfolgen sind.
Oje, das klingt wirklich schlimm. Da kann ich Ihrem Bekannten nur wünschen, dass es am Ende doch noch gut ausgeht.
Barfußlaufen auf Schnee kann ein schönes Erlebnis sein, wenn man denn die nötige Vorsicht walten lässt. Ich bin in der Barfußszene einer derjenigen, die beständig vor dem Barfußlaufen auf und erst recht im Schnee warnen. Und das beruht auf eigenen üblen Erfahrungen in meiner Anfangszeit als Barfußläufer.
Auf die Bedingungen kommt es an, wie Schneetemperatur, Schneeart und die Zeit, die man barfuß darauf verbringt. Dazu kommt die fortwährende Beobachtung der Zehunterseite und des Sohlengefühls. Im Beitrag wird das ziemlich klar zum Ausdruck gebracht, mit allen Details und Warnsignalen, die dazu gehören.
Es gibt allerdings in den sozialen Medien eine ganze Reihe von Zeitgenossen, die sich ihrer nahezu unglaublichen Leistungen im weißen Element rühmen und die möglichen Gefahren verharmlosen. So eine Frostbeule ist doch nichts Schlimmes und ist blitzschnell verheilt. Ja, wenn man Glück hat… Leider ist Ihr Bekannter wohl solchen Leuten auf den Leim gegangen. Womöglich ist er auch noch auf gesalzten Straßen gejoggt. Dort werden die Oberflächen durch einen physikalischen Effekt auf sehr niedrige Temperaturen abgesenkt. Im Extremfall bis unter minus 20 Grad.
Deshalb ganz herzlichen Dank für Ihren Kommentar, der überdeutlich macht, dass Barfußlaufen im Schnee nichts mit Heldentum zu tun hat, sondern oft eher mit Dummheit bzw. Unwissenheit.
Oh Gott, was für ein Horror!
Da ich auch einer derjenigen bin, die Schneeläufe einerseits genießen, aber andererseits auch schon negative Erfahrungen gemacht habe (Erfrierungen 1. Grades nach ca. 30min), würde mich interessieren, ob der Bekannte bereits ein erfahrener Barfußläufer war, der auch schon vorher Schneeläufe gemacht hat und ob seine Haut überhaupt entsprechend gerüstet war für zweistündige Barfußläufe? Oder war das irgendwie eine „Challenge“ oder so?
Die Verletzungen hören sich für mich nach mehr als „nur“ Erfrierungen an. Zwei Stunden ist natürlich schon sehr lang (bei welcher Temperatur?), aber dass die Haut direkt in Fetzen hängt und Amputationen drohen, ist schon krass! Wenn das wirklich „nur“ an der Kälte lag, finde ich das schockierend und werde ab sofort nie wieder von Barfuß im Schnee schwärmen!
Ich hoffe, dass er sich wieder erholt und keine Zehen verlieren muss! Was für eine Riesenschei*e!!!
Hallo Forbi,
zu Deinen Fragen: es war nur um die 0 bis -1 oder -2 Grad, aber eben alles im Schnee. Barfuß-Erfahrung hatte er leider eher weniger und hat das auf Empfehlung eines Buches gutgläubig probiert. Er ist sehr gut durchtrainiert, aber es fehlte ihm völlig das Basiswissen (wie im Blogbeitrag gut beschrieben). Besonders übel war, dass er Abends in der Dämmerung / im Dunkeln gejoggt ist. Er fühlte nur „wie Watte“ unter den Füßen, fand es supertoll, hat aber die Haut überhaupt nicht beobachtet. Das größte Übel bei Erfrierungen ist ja das Fehlen des Gefühls für die Gefahr.
Als er nach Hause kam, war bereits alles großflächig offen und im Schock ist er noch weiter herumgelaufen, als die Ersthelferin ankam (Krankenschwester), die sofort die dramatische Situation erkannte. Bis aufs Fußgewölbe ist fast alles so erfroren, bis aufs rohe Fleisch, obwohl bereits weitergehende Blasen in Gewölberichtung sichtbar sind. Man kann jetzt nur hoffen, dass es nicht noch viel mehr wird. Die tieferen Schäden werden ja leider erst nach weiteren Tagen sichtbar.
Und JA, die Temperatur war leider eindeutig schuld! Das sieht man an der nekrotisierenden Wundart. Was viele vielleicht nicht wissen: Durch Kälte unter 0 Grad können sich in den Zellen im schlimmsten Fall nicht nur oberflächlich, sondern bis ggf. tief in den Muskel Eiskristalle bilden. Dadurch sterben diese Zellen dann ab. Bei Grad 1 ist das noch schnell verheilt. Aber hier ist es leider übelst. Das ganze Ausmaß wird erst nach Tagen bis sogar Wochen sichtbar, wenn es so starke Erfrierungen sind.
Heute musste bereits weiteres, totes Gewebe chirurgisch abgetragen werden, das gestern noch „normal“ aussah. Es geht also bis ins Muskelgewebe.
Stand heute: Beide Fersen sind komplett offen, ebenso fast die ganze Ballenbreite unter den Zehen, sowie schwarze Stellen an Zehen. Die großen Zehen sind beidseits über die Hälfte nur noch rohes Fleisch. Das gibt später evtl. einige Probleme mit dem Gleichgewicht und Stabilität, denn dafür braucht es besonders auch die Großzehen.
Wir hoffen noch sehr auf Erhalt der schwarz verfärbten oberen Zehenglieder. Momentan ist noch nicht klar, wie schlimm es noch werden kann.
Wir versuchen jetzt außerdem verzweifelt eine Verlegung in ein Spezialzentrum, denn die momentane Wundversorgung im hiesigen „Wald- und Wiesenkrankenhaus“ ist völlig veraltet! Er muss sogar um Schmerzmittel betteln. Sogar das Pflegepersonal gibt zu, dass ihnen das dafür nötige, moderne Verbandsmaterial fehlt und sie keinerlei Erfahrung mit solchen schlimmen Wunden haben….
Zu dem Elend der furchtbaren Verletzung kommt jetzt auch noch das völlig kaputte Gesundheitssystem!
Wir sind als Freunde selbst ausgebildete Fachpflegekräfte und Wundspezialisten und können kaum fassen, wie da gemurkst wird!!! Wir versuchen gerade zu retten, was zu retten ist, aber am Wochenende geht fast nichts. Wir konnten nicht mal passendes Wundmaterial beschaffen und mussten notgedrungen improvisieren. Es geht hier immerhin um den Rest seines Lebens, ob er wortwörtlich wieder „auf die Füße“ kommt.
Wir schätzen barfuß, aber wie hier vom Autor des Artikels bereits völlig richtig erwähnt, gibt es so viel Halbwissen und absolut irre Anleitungen, die wirklich dramatische Schäden verursachen können.
Danke für das Mitgefühl und jede gute Aufklärung, um so etwas zu verhindern!
Hallo MHV,
vielen Dank für die ausführliche Antwort und die sachliche Darlegung ohne jegliche Vorwürfe. Ich denke, das ist in dieser Situation nicht selbstverständlich. Auch ich bin interessiert an Aufklärung, damit so etwas nicht wieder passiert. Ich würde den Fall deshalb mit Deinem Einverständnis gerne im Barfußforum (https://barfuss-life.style/) erwähnen und Deine Kommentare verlinken.
So wie Du es schilderst, hat es für mich den Anschein, dass hier verschiedene Dinge schiefgelaufen sind. Eigentlich alles, was schiefgehen konnte – ganz nach Murphys Gesetz. Ich hoffe, dass meine Analyse nicht besserwisserisch rüberkommt, ich will es bloß verstehen:
Die niedrige Temperatur ist auf jeden Fall verantwortlich für diese Art von Schäden, da gebe ich Dir Recht. Knapp unter Null ist eindeutig zu kalt für so eine lange Zeit. Aber wenn Du schreibst, dass er „eher weniger“ Barfuß-Erfahrung hat, ist die Schwere der Verletzungen dadurch sicher noch verstärkt worden. Seine Haut ist dann generell nicht auf so eine lange Strecke auf blanken Sohlen vorbereitet. Die Oberhaut ist noch zu dünn und daher nicht in der Lage, einer so langen mechanischen Belastung standzuhalten, d.h. er hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst bei sommerlichen Temperaturen schon deutliche Schäden davongetragen (Blasen, Hautablösung). Bloß da hätte er es nach wenigen Kilometern gemerkt und vielleicht rechtzeitig aufgehört. Bei 2 Stunden ist er sicher eher 15..20km gelaufen, das ist viel zu viel für ungeübte Haut und erst recht bei Frost.
Die Durchblutung der Fußhaut funktioniert wahrscheinlich noch nicht in dem Maße wie bei geübten Barfußläufern, weshalb zu wenig Körperwärme nachgeschoben wird und die Unterhaut hat noch nicht genügend Fettpolster aufgebaut, um die darunterliegenden Schichten gegen die Kälte zu isolieren. Das beschleunigt die Auskühlung zusätzlich. Hinzu kommt noch, dass er im Dunkeln gelaufen ist nicht gesehen hat, was mit den Zehen passiert. Und natürlich, dass durch den Frost das Kälteempfinden ausgeschaltet war, was sehr tückisch ist, da man sich vermeintlich gut fühlt. Das kenne ich aus eigener Erfahrung (zum Glück mit weniger drastischen Folgen). Und dass er „sehr gut durchtrainiert“ ist, wurde ihm auch zu einem gewissen Teil zum Verhängnis, weil er damit überhaupt erst in der Lage ist, so lange Strecken zu rennen.
Alles in allem ist er also zu unvorbereitet, zu lang, bei zu niedriger Temperatur und mit zu wenig Licht gelaufen. Wie in aller Welt ist er auf die Idee gekommen, dass er das aus dem Stand einfach so könnte? Das will in meinen Kopf nicht rein. Was war das für ein Buch, dass ihm so etwas suggerieren konnte? Und dann wird er auch noch unzureichend medizinisch versorgt. Das ist wirklich eine Tragödie!
Da ich selbst durchs Barfußlaufen zum leidenschaftlichen Läufer geworden bin, bin ich wirklich schockiert und fühle stark mit ihm und bedauere sehr, dass er für eine sehr lange Zeit keine solchen Läufe wird machen können! Ich wünsche ihm alles erdenklich Gute und hoffe von ganzen Herzen, dass er überhaupt wieder in der Lage sein wird, laufen zu gehen!
Halt uns bitte auf dem Laufenden, wie die Geschichte nächstes Jahr weitergeht. Hier oder vielleicht direkt im Forum?! Mir fehlen immer noch die Worte (trotz des langen Textes…)
Alles, alles Gute!
Forbi
Ja, Forbi,
deine Analyse ist völlig korrekt. Genau das waren die Bedingungen, die alle zusammen dazu geführt haben.
Wegen dem Buch müsste ich nachhaken (wollte da in der Lage nicht weiterbohren, denn er ist total beschämt und fühlt sich supermies, weil jetzt viele sagen, wie „dumm“ das doch sei… Das braucht er jetzt grad echt nicht. …)
Wir dokumentieren aber den Verlauf mit Bildern und ich könnte fragen, ob zu Aufklärungszwecken ein Bild öffentlich sein dürfte. Gerne kannst Du das ins Forum nehmen. Hauptsache es wird richtig gut aufgeklärt.
UND – wir haben nach viel Kampf und Ärger jetzt doch einen Platz in einer Spezialklinik, in die er jetzt kann!!! Puh! Wenigstens steigt jetzt die Hoffnung auf bessere Wundheilung. An den großen, offenen Flächen sind die Nerven völlig kaputt und auch kein Schmerzempfinden mehr, aber die Zehen und sonst – da kam der irre Schmerz nach ca. 4 Stunden erst voll durch und er wird sicher noch Monate zu kämpfen haben. Aber jetzt hilft man ihm endlich mit entsprechenden Analgetika ohne dass er wie vorher schreiend im Bett liegt.
Danke für den bericht, ich wünsche deinem bekannten wirklich, dass die erfrierungen abheilen. Das wird eine weile dauern.
Ich war auch mal unvernünftig und bin ca. 1 stunde lang bei knappen plusgraden im schnee auf einen berg gelaufen. Die zehen waren an der wurzel rot, an der spitze jedoch bleich und es stellte sich ein gefühl zwischen brennen und taubheit ein. Ich habe es wieder zurück ins tal geschafft, aber in der folge gab es frostblasen an allen zehen, die epidermis hat sich verabschiedet und die dermis lag frei, letztlich hat sich alles wieder regeneriert, alle zehen sind beweglich und empfindsam wie zuvor, aber da habe ich meine grenzen eindeutig überschritten!
Seitdem bin ich eher übervorsichtig. Trotzdem versuche ich jeden tag barfuß rauszugehen, wenn auch nur kurz. Bei 0°C auf trockener straße halte ich das stundenlang aus (bei ständiger bewegung), so etwa neulich auf dem weihnachtsmarkt. Ein stück weit ist der kreislauf trainierbar und das kann wohl auch vor erfrierungen schützen, nur ist äußerste vorsicht angebracht und das gefühl „wie Watte“ ist in wirklichkeit ein alarmsignal, das wir nur nicht richtig einordnen können, da es bedeutet, dass die nerven ihre arbeit einstellen und der temperatursinn nicht mehr funktioniert.
Ich überrede sicher niemanden, es mal barfuß im schnee zu probieren, und mache auch kein gruppenevent draus. Wenn es trotzdem jemand mitmachen will, was eher selten vorkommt, schicke ich alle nötigen warnungen voraus und bremse die person notfalls ein.
Moin MHV,
das ist in der Tat eine Katastrophe, und ich wünsche Deinem Freund gute, gute Besserung! Da Ihr beide vom Fach seit, stehen die Chancen sicher gut für ihn – ich drücke die Daumen ganz fest!
Lernen können wir daraus, wie wichtig es ist, immer in unseren Körper hineinzuhören um rechtzeitig reagieren zu können.
Gerade (aber nicht nur)bei solchen Extremversuchen sollte das ständige Fühlen nach dem was sich im Körper tut, immer Vorrang vor allen anderen Trainingsaspekten haben.
Und dann muß man eben auch mal rechtzeitig abbrechen (können) oder einen Plan B dabeihaben.
Ob nun bei Kälte das Gefühl in den Zehen verschwindet( egal ob mit oder ohne Schuhe!) oder ob irgendwo ein Schmerz auftritt der nicht wieder auf den nächsten 100metern verschwindet – dann sofort umdrehen und ab nach Hause.
viele Grüße
Thomas
Hallo lieber Wolfgang 😉
ein toller Bericht,
Hach ja, diese wunderschöne Landschaft, einfach traumhaft schön.
Ich muss noch oft an unsere letzte Wanderung mit der traumhaften Aussicht denken, das war der Hammer gewesen.
Naja, der nächste Urlaub dauert noch etwas, aber Vorfreude ist auch was sehr schönes.
Werde für Evas Garten ein paar Pflänzchen mitbringen 😉
Du bist schon ein Urtyp, bei der Kälte Barfuß auf die Alpe, für mich wäre das nichts, aber ich bewundere jeden, der dies tut und kann.
Liebe Grüße Euer Freund Clausi 🙂
Das Schneemaß hört sich ja sehr lecker an 😉
Hallo Clausi,
ich durfte so eine Schneemaß schon mal im Becher auf dem Weihnachtsmarkt probieren. Gottlob war es nur ein Becher… 😉
Ich bin dann doch eher der Glühweintyp…
Liebe Grüße,
Wolfgang
Hallo,Wolfgang,
wieder ein toller Bericht und sensationelle Bilder, die Lust darauf machen, es Dir nachzutun. Hier im Norden gibt´s ja nicht so häufig Schnee, ich bin aber bald für einige tage am Wilden kaiser, da hoffe ich auf gelegenheiten zu Schneewanderungen barfuss.
Macht weiter so mit dem blog !
Viele Grüsse vom
Michael !
P.S. bist Du sicher, dass für die Schneemass Doornkaat verwendet wird ? Das ist doch der Schnaps des Nordens !
LG !
Hallo Michael,
danke für die Blumen! Und ja, bei uns auf der Alpe wird Doornkaat für die Schneemaß verwendet. Man kann aber auch einen anderen Korn nehmen.
Viel Spaß am Wilden Kaiser!
Viele Grüße,
Wolfgang
Hallo Wolfgang …!
Es freut mich immer …wenn ich deine Erfahrungsberichte über das Barfus gehen lesen kann……leider gibt es bei uns im Ort keine Gelegenheit sich irgendwie an einer Gruppe zu schließen die Barfuß geh’n….Deshalb würde es mich interressieren mich mal bei dir und der Eva für eine Wanderung mit anzuschließen …! Ich lauf jetzt fast 3 Jahre Barfuß und im Winter versuch ich bis an meinen Grenzen draußen zu geh’n …! Hab immer meine Leguanos für den Notfall dabei… ! Falls ihr vielleicht jemand kennt aus meiner Umgebund der auch Intereese hat ( ich bin aus Beigien …St,Vith …Burg- Reuland …und Malmedy ) Aachen und Trier sind 1 Stunde von mir..! Würde mich freuen wenn ihr mir weiter helfen könnt ..! Dieses Jahr mach ich noch ne Wanderung in den Algaven …aber ich bin die einzige Barfusläuferin…das ist nicht so interessant ..deshalb wollte ich gern nächstes Jahr an einer Barfusgruppe anschließen würde mich freu’n …wenn ihr mir weiterhelfen könnt. … lg Bernadette aus Belgien
Hallo Bernadette,
Eva und ich würden uns freuen, mit Dir die eine oder andere Wanderung zu machen. Nur wohnen wir halt nicht „um die Ecke“.
Wir haben aber einen sehr netten Barfußfreund, der in Luxemburg lebt. Vielleicht ist er an gemeinsamen Wanderungen mit Dir interessiert. Ich frag ihn mal.
Außerdem gibt es die Möglichkeit, sich einem Barfußforum anzuschließen. Es gibt da z.B. ein Forum für Belgien und Frankreich, das früher auch Treffs in Lüttich veranstaltet hat. Hier der link. Außerdem gibt es zwei deutsche Barfußforen. Die meisten Mitglieder hat das hier. Dort werden ebenfalls hin und wieder Barfußtreffs angeboten. Ein noch aktives Mitglied („Sascha (EU)“) wohnt in Euskirchen und wandert sehr gerne in der Eifel. Einfach mal reinschnuppern.
LG aus dem Allgäu, Wolfgang
Danke für diesen bericht, sieht nach einer tollen wanderung aus!
Die „leichten abpellungen“ an den zehenspitzen kenne ich; zum glück nicht schmerzhaft, bedeutet aber, so etwas nicht allzu oft machen zu können, denn die haut muss erst mal wieder nachwachsen ….
Solche spaziergänge schärfen auch das gespür für schnee. Es gibt neuschnee, altschnee, weichen oder harten schnee, feinen oder groben, nassen oder trockenen. Nach ein paar antau-überfrier-zyklen kann der bruchharsch schon nach wenigen tagen messerscharf werden. Oder der schnee ist tragfähig, etwas nachgiebig, ein genuss. Ich bin auf ehemals weichem, dann wieder gefrorenem schnee gegangen, der von der konsistenz an schotterstraßen herankommt, nur kälter. Und dann wieder den wahren genuss-schnee, wie eislutschen mit den füßen ….
Sobald die lufttemperatur über 5°C ist und die sonne scheint, hält mich nichts mehr.
Ja, im Moment ist die Gegend hier ein Wintertraum.
Wenn die Sonne scheint und die Temperaturen über 5°C liegen, schmilzt der Schnee leider schon, was bedeutet, dass er wieder eiskalt wirkt. Heute ist so ein Tag. Wir waren gerade unterwegs und haben leider sehr viele vereiste Stellen vorgefunden.
Ich finde Temperaturen knapp über oder unter dem Gefrierpunkt mit noch nicht angetautem Schnee deshalb günstiger.