Barfuß, (m)ein Rettungsanker – Jürgen Hirsch

Hallo, ich bin Jürgen aus Göppingen.

Zum Barfußgehen kam ich relativ spät. Erst 2014, mit 44 Jahren, probierte ich es das erste Mal.

Leider hab ich gleich zu viel gewollt. Anstatt nur spazieren zu gehen, um die Füße daran zu gewöhnen, begann ich gleichzeitig auch zu laufen. Doch die vielen Steinchen nervten mich und dazu kam die Angst vor Scherben. Ich merkte: Was man in 48 Jahren kaputt gemacht hat, kann nicht gleich wieder zu 100% funktionieren. Als dann auch noch blöde Bemerkungen von Nachbarn und anderen Leuten dazu kamen, war das Thema Barfuß erstmal für mich erledigt. Mein Selbst­be­wusst­sein war damals noch nicht so ausgeprägt.

2016 versuchte ich es erneut. Diesmal erst bei mir zuhause ums Haus herum und im 5km entfernten Garten. Er liegt etwas außerhalb, am Waldrand. Hier konnte ich ungestört barfuß sein. In den weiteren Umkreis traute ich mich allerdings noch nicht.

Jürgen Hirsch mit Hund im Wald

2017 erwischte es mich eiskalt: Burnout und schwere Depression, so die Diagnose. Ich suchte Halt und Hilfe in einer Psychosomatischen Klink. Dort, in der Konzentrativen Bewegungstherapie, wurde mir bewusst, wie gut mir das barfuß gehen tat. Ich ließ mich z.B. blind führen. Über eine Wiese, durch Pfützen, über verschiedene Untergründe – alles barfuß!

Bei der Entlassung riet mir der Professor, dass ich mir einen Anker suchen solle. Den könne ich dann werfen, wenn es mir schlecht ginge. Für mich war klar: Barfußgehen würde mein Anker werden.

Jürgen Hirsch

Ich bin nicht unbedingt der zielstrebigste Mensch, aber diesmal bin ich wirklich über mich hinaus gewachsen.

Ich habe meinen Umkreis stetig erweitert, in einem Tempo, das ich selbst nicht fassen konnte. Ich war regelrecht süchtig und mein Anker funktionierte wie eine Eins. Hatte ich mal einen schlechten Tag oder Stress bei der Arbeit – nach einem Barfuß-Spaziergang war alles gleich wieder verflogen. Mein Hund war auch immer mit dabei. Ich erledigte einfach alles barfuß: Einkaufen, Arztbesuch, Termine beim Landratsamt, Physiotherapie, Fitness, Auto fahren usw.

Ich muss dazu sagen, dass ich das Barfußsein von Anfang an das ganze Jahr durchgezogen habe, auch im Winter. Bei manchen Spaziergängen durch die Stadt suchte ich regelrecht die Bestätigung, die ich auch ab und zu bekam.

Leider muss ich im Job als Einzelhandelskaufmann Sicherheitsschuhe tragen, aber sobald ich den Laden verlasse, ziehe ich die Schuhe wieder aus.

Jürgen Hirsch

Zwischenzeitlich hab ich auch das Laufen wieder angefangen. Mittlerweile schaffe ich 5 Km. Um alles richtig zu machen, ging ich zu einer Lauftrainerin. Die Bewegungsanalyse bestätigte mir dann auch einen guten Laufstil. So mache ich weiter.

Meine Familie und meine Freunde unterstützten mich von Anfang an. Ihre Bewunderung spüre ich immer wieder, obwohl meine Frau manchmal mit meinem Barfußsein hadert. Aber sie weiß, dass es mir gut tut und so haben wir einige Kompromisse geschlossen, bei denen ich dann Barfußschuhe anziehe. Wie z.B. beim Besuch von Musicals, Hochzeiten oder Beerdigungen.

Barfußschuhe waren anfänglich für mich überhaupt keine Frage. Nur im Winter merkte ich, dass es irgendwann ekelig und auch nicht gesund sein kann, barfuß durch die braune Brühe aus Schnee, Salz und Dreck zu gehen. Ja und dann ist da noch der Streusplitt, der einem das Leben schwer macht. Obwohl ich mir Schuhe zulegte, die sehr breit, bequem und warm sind, bleibt barfuß einfach barfuß. Da kommt kein Schuh der Welt mit.

Durch das Barfußgehen sind meine Zehen beweglicher und meine Füße breiter geworden.

Jürgen Hirsch barfuß

Kalte Füße sind auch kein Thema mehr. Selbst an kalten Tagen sind die Füße wieder schnell warm, die Durchblutung ist besser geworden. Und mein Selbstvertrauen hat sich sehr gesteigert. Heute lassen mich komische Blicke oder Kommentare zwar nicht kalt, aber sie können mir nicht mehr weh tun.

Vor drei Jahren habe ich spontan “Barfuß wandern mit Jürgen” ins Leben gerufen. Denn ich dachte mir, was mir gut tut, könnte auch anderen helfen. So bin ich jetzt jeden 2. Sonntag im Monat mit einer Gruppe 2-3 Stunden im Wald barfuß unterwegs. Sehr oft gehe ich auch mit einzelnen Interessierten wandern.

Seit einiger Zeit biete ich die Wanderungen auch über die Volkshochschule an.

Die Erlebnisse, die ich auf diesen Wanderungen erfahre, zeigen mir, dass es der richtige Weg für mich und auch für die Teilnehmer ist. Ich erfahre viel Dankbarkeit und höre oft, dass die Teilnehmer überrascht sind, wie gut das Barfußgehen tut und wie glücklich es macht. Auch mehrere Teilnehmer, die an Depressionen leiden, haben jetzt, wie ich glaube, ihren Anker gefunden. Sie sind regelmäßig dabei.

Die Wanderungen führen immer wieder zu schönen Erlebnissen. Eine 75-jährige Frau erzählte mir z.B. von ihren Kindheitserinnerungen. Spannende Abenteuer erlebt man auch immer wieder, wenn Kinder dabei sind. So gibt es unterwegs einen Bach mit einer matschigen Passage, wo es ein riesen Spaß für die Kinder (und auch für die Erwachsenen) ist, durch richtigen Matsch zu stapfen. Auch Hunde haben hier ihr Vergnügen.

Im Herbst war ich mit Mutter und Tochter unterwegs, bei recht frischen Temperaturen. Ich war anfangs etwas skeptisch, ob sie das wirklich durchziehen. Trotz knallroter Zehen, sind sie tatsächlich tapfer durch Bachläufe und Matsch marschiert. Die Tochter meinte später, dass endlich ihre Nase wieder frei sei, sie aber anfangs schon mit sich gekämpft habe.

Barfuß Wandergruppe

Hier noch was zum Schmökern. Es ist toll, einmal in der Zeitung zu stehen. Das war ein außergewöhnliches Erlebnis. Du kannst den Artikel als pdf-Dokument lesen (Bild anklicken)

Zeitungsartikel

Zum Schluss möchte ich Dir noch ein Zitat Martin Auer mit auf den Weg geben:

Vielleicht sehen wir uns ja bald auf einer Barfuß-Wanderung

Liebe Grüße

Jürgen

2 Gedanken zu „Barfuß, (m)ein Rettungsanker – Jürgen Hirsch“

  1. Hallo Jürgen!

    Es war schön, Deinen Bericht zu lesen, auch ich hatte anfangs nicht den Mut, barfuß zu gehen, zumindest nicht überall und so ging ich erst mal meist barfuß auf asphaltierten Feld-Wirtschaftswegen und hatte dabei sogar noch meine Birkenstock´s als “Scheinbegleiter” und “Unterstützer” gegen meine Unsicherheit in der Hand, obwohl ich sie bereits beim Parken des Autos auszog. Die Latschen gaben mir eine gewisse Sicherheit, denn ich dachte mir, dass Leute, die mir eventuell begegnen, dann denken, ich hätte meine Latschen mal gerade ausgezogen, wollte aber nicht erkennen lassen, dass ich im Grunde vom Aussteigen aus dem Auto an schon barfuß war.

    Dank eines Barfußforums und einigen Schreibern in selbigem (viele werden das Forum kennen, wenn nicht sogar alle, auch hier ist ein Schreiber, der dort aktiv war, das Forum gibt es allerdings seit ich glaube letztem Jahr im Sommer nicht mehr), bekam ich schließlich den Mut, immer und überall barfuß zu gehen, denn zwei Forenmitglieder besuchten mich kurzfristig angekündigt und ich machte bei ihnen einen Gegenbesuch, bei einem der beiden aus Düsseldorf sogar zwei Mal und dann lernte ich über das Forum noch jemanden kennen, der wie ich aus dem Saarland kommt und schon wenige Wochen später lernten wir uns rein zufällig persönlich kennen, er gab mir dann den letzten “Feinschliff” an Mut, der mir z.B. bei schlechtem, regnerischem Wetter noch fehlte.
    Auch Wanderungen, die meist ein Forenadmin organisierte und von denen ich einige besuchte, stärkten zusätzlich meinen Mut, denn da war eine Gruppe von jedes Mal etwa 20 bis 25 Leuten, die an derselben Sache Spaß hatten wie ich.
    Negative Bemerkungen dagegen habe ich zwar auch schon erfahren, aber sie waren bis jetzt wider Erwarten nur sehr vereinzelt und das geht mir dann auch “hinten vorbei”, denn diese Leute geben mir nichts, also hake ich sie gleich gedanklich ab und in der Tat stärkte das Barfußgehen schon nach kurzer Zeit mein Selbstbewusstsein enorm, ich erfahre aber auch überwiegend positive Reaktionen, was ich anfangs auch nie geglaubt hätte, ich stellte mich darauf ein, dass ich mir ein dickes Fell gegen Bemerkungen und spöttische Lacher zulegen muss, zum Glück aber weit gefehlt, denn das Gegenteil traf ein.

    Übrigens war ich auch in Deiner Gegend schon barfuß unterwegs, denn ich habe einen Freund aus dem Kreis Neu-Ulm (Anfang Bayern), der mit mir zusammen in einem Internat am Bodensee war und ich war oft bei ihm im Urlaub oder an einem verlängerten Wochenende, was nun leider nicht mehr geht, weil er nun eine zu kleine Wohnung hat. Er hatte eine Freundin aus Geislingen/Steige und das ist ja Kreis Göppingen, da “GP” auf dem Nummernschild.
    Ich war dort mal in einer Kneipe, da waren allerdings ein paar schräge Vögel unterwegs, das war nicht so doll, denn von Ebendiesen kamen abfällige Kommentare. Ein weiterer Internatsmitschüler kam auch aus dem Kreis Göppingen, aus Wangen, von dem es ja auch glaube ich drei gibt, eines davon ist im Allgäu.

    Was kalte Füße angeht: meine Füße sind im Winter zwar schon öfter kalt, wenn ich draußen unterwegs bin, aber was wichtig ist: sie sind nicht weiß, sondern gut durchblutet und der Körper sorgt für einen Wärmeausgleich, denn ich bin am Rest des Körpers meinem eigenen Kälteempfinden entsprechend gekleidet.
    Wichtig ist aber im Winter und vor allem wenn Schnee liegt auch, dass man auf die Signale des Körpers achtet, was nicht immer einfach ist, denn wenn man im Schnee barfuß eine gewisse Strecke zurückgelegt hat und spürt, dass man nicht mehr kann und abbrechen muss, dann ist es schon zu spät, da dann noch der Rückweg ans Auto bevorsteht, also lieber mal nur kleinere Strecken gehen oder einen Rucksack mit Handtuch, Socken und Winterschuhen mitnehmen, was ich bei meinen Spaziergängen zwar noch nicht tat, weil ich abschätzen konnte, wann es Zeit wird umzukehren. Nur ein Mal, als ich mit dem Internatsfreund in Ulm unterwegs war, wo er Post austrug, begleitete ich ihn barfuß im Schnee und hatte einen Rucksack mit Handtuch, Socken und Winterschuhen dabei, musste auch ein Mal für nur kurze Zeit darauf zurückgreifen.
    Bei uns hat es etwas geschneit und da ich zurzeit nicht arbeite, werde ich nachher vielleicht noch irgendwo, fernab von Streusalz (Split wird bei uns zum Glück nicht verwendet, damit habe ich in München schlechte Erfahrungen gemacht: sehr unangenehm) einen Barfußbummel machen.

    Liebe Grüße aus dem Saarland,
    Andi

    Antworten
  2. Hallo Jürgen,
    Danke für Deine Infos und Dein Engagement!
    Schreibst Du auch in einem Barfußforum?
    Ich bin z.B. im Hobby-Barfuss-Renaissance-Forum.
    Liebe Grüße von Dieter

    Antworten

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