Barfuß auf den Säuling (2047m) – Allgäuer Alpen

Barfuß auf den Säuling – ein gemeinsames Projekt von uns beiden.

Jeder von uns hat seine eigenen Empfindungen und Gedanken bezüglich Barfüßigkeit im Gebirge. Unsere Tour gleicht einer Offenbarung, denn hier werden die bisher erlebten Grenzen noch um einiges gesteigert. Der Körper, die Fußsohlen, alles ist zu mehr fähig, als wir bisher zu glauben gedachten.

Der Säuling? Von dem hatte ich noch nie etwas gehört. Eigentlich logisch. Nur 2047m. Ein Maulwurfshügel neben Berühmtheiten wie z.B. dem Matterhorn oder dem Großglockner. Selbst die Zugspitze ist rd. 900m höher. Entsprechend belächelte ich Eva’s Bericht über seine Ersteigung in ihrem Blog. Damals noch beschuht!

Zu den Fotos: Wir haben einige Panoramabilder eingebaut. Sie sind gut daran zu erkennen, dass sie lang und schmal sind. Es lohnt sich, sie mit einem Klick zu vergrößern

Himalaya?

Für Jemand, der die 8000er im Himalaja schon hautnah erlebt hat, ist ein 2000er ja auch nicht sonderlich beeindruckend 🙂 Zumindest bis er den stattlichen Säuling dann tatsächlich vor sich sieht und da barfuß hinauf will 🙂

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Und dann sieht man ihn zum ersten Mal durch die Windschutzscheibe, im Touristenstrom Richtung Fernpass. Mächtig dominiert seine Pyramide die Szenerie der jäh aus der sanft gewellten Wiesen- und Seenlandschaft des Allgäus aufragenden Alpenkette.

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Da muss ich rauf, war mein spontaner Gedanke und konnte es nicht abwarten, die Tour endlich mit Eva als Führerin angehen zu können.

Wer die Tour ebenfalls gerne gehen möchte, dem empfehle ich dafür trockene Tage. Die Wege, insbesondere die Kletterpartien, sind bei Nässe unberechenbar (und mit Schuhen erst recht). Nicht umsonst lässt Jahr für Jahr jemand am Säuling sein Leben 🙁

Wo bleibt die Sonne?

Und dann waren sie da, zwei stabile Sonnentage inmitten des sonst doch eher verregneten Monats. Die Wettervorhersage hatte sie in den Tagen zuvor schon öfter mal aufblitzen lassen, dann aber wieder sang- und klanglos gestrichen. Zum Mäusemelken. Aber das Universum lieferte das Bestellte. Zwei Tage Sonne satt, mit Fernsicht von Pol zu Pol…

Wolfgangs Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Fast täglich der sehnsüchtige Blick ins Wetterbild, doch oftmals am Abend zuvor dann die Ernüchterung: es soll am nächsten Tag Gewitter geben oder sogar regnen. Anders ausgedrückt: keine gute Basis für eine Bergbesteigung. Aber wir hatten auch so genug Aktivitäten – Wandern in Talnähe, mit den Mountainbikes die Gegend erkunden, einen verregneten Tag in der Königlichen Kristalltherme in Schwangau verbringen, das Mittelalterfest in der Füssener Altstadt – langweilig wurde es uns nie 🙂

Blick vom Branderschrofen des Tegelberg

Blick vom Branderschrofen des Tegelberg auf den Säuling (links)

Gemütlich und achtsam wollten wir es angehen. Barfuß, so oft und so lange es geht. Die Tour auskosten. Dabei jeden Moment genießen. Der Normaltourist stürmt an einem Tag in ein paar Stunden hinauf zum Gipfel, rastet ein Stündchen und eilt wieder hinunter… Wir wollten es anders machen.

Eine Hüttenübernachtung wollten wir einlegen, im Säulinghaus auf der österreichischen Seite des Berges. Dann am nächsten Morgen auf den Gipfel steigen und von dort auf der deutschen Seite wieder herab klettern und wandern, geradewegs hinunter zum bescheidenen Wochenendhäuschen des Bayernkönigs Ludwig Zwo, auch Schloss Neuschwanstein genannt.

So hatte es Eva zwei Jahre zuvor mit einem belgischen Bergfreund schon mal gemacht. Das Erlebnis von Sonnenunter- und -aufgang hoch über dem Tal, das war schon immer etwas Besonderes. Ich sollte nicht enttäuscht werden.

Schloss Neuschwanstein

Der erste Tag

Wir sitzen mit einer Tasse Tee auf der Terrasse von Eva’s kleiner Wohnung und blinzeln in die Sonne. Warm soll es werden, sehr warm. Das spüren wir schon jetzt. Wann sollen wir losfahren? Eigentlich ist es noch viel zu früh, uns jetzt schon aufzumachen. Schließlich soll es ja ab der österreichischen Ortschaft Pflach bloß 750 m rauf zur Hütte gehen. Das dauert nur wenige Stunden. Aber was bis dahin tun? Im Tal abhängen? Können wir das nicht auch auf der Hütte tun, mit toller Aussicht?

Unsere Ungeduld siegt und wir fahren los. Vor uns riesengroß und abweisend der gewaltige Block des Säulings mit seinen senkrechten Felswänden. Da wollen wir rauf? Eva beruhigt mich, sie ist ja alte Häsin hier… An Füssen vorbei fahren wir entlang des Lechs hinein nach Österreich und parken den Wagen auf dem Wanderparkplatz bei Pflach, wo die nicht minder abweisend wirkende österreichische Seite des Säulings auf uns herabblickt. Das Auto muss dort ausharren, bis wir es am nächsten Tag, nach dem Abstieg nach Füssen und Busfahrt zurück nach Pflach wieder abholen.

Mächtig erhebt er sich vor uns

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Barfuß sind wir. Klar. Was sonst. Die Notschuhe sind im Rucksack verstaut. Bei Eva edle Leguano Frau gönnt sich ja sonst nichts, bei mir billige Surflinge von Aqua Sphere. Wir wollen sehen, wie weit es über den steinigen Untergrund mit baren Füßen geht. Tatsächlich geht es sehr weit. Bis hinauf zur Hütte. Im Aufstieg ist so ein steiniger Untergrund überhaupt kein Problem, zumal sich hie und da am Wegrand Ausweichmöglichkeiten über den angenehmen Waldboden anbieten.

Gymnastik für die Fußsohlen

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Meter um Meter geht es den Berg hinauf, mehr und mehr wird mein Merinohemd (gekauft, weil es auch bei Nässe wärmt und – für Männer wichtig – auch ohne Wäsche nicht so schnell übel riecht) vom Schweiß getränkt. Puh, ist das warm. Und Mann, ist das ein Ausblick auf die Lechtaler Berge, schon jetzt. Unsere Herzen führen Freudentänze auf.

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Flott unterwegs

So langsam sind wir gar nicht unterwegs, stellen wir fest. Gut, unten auf dem Schild stand 2 Stunden bis zum Säulinghaus. Wir brauchen 2,5 Stunden. Aber barfuß! Komplett. Das ist ziemlich flott, finden wir.

Ich stelle fest, das es sich barfuß wesentlich besser läuft, als mit Wanderschuhen. Es gibt keine Ermüdung von Füßen, Beinen oder sonstigen Körperteilen, ebenso wie der knapp über 6kg schwere Rucksack nicht zu spüren ist.

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Zwischendrin erhaschen wir immer wieder mal ein Blick auf das Säulingmassiv vor uns, das wir am nächsten Tag bezwingen wollen. Es ist jedesmal unglaublich, dass das möglich ist. Folglich schauen wir bei jeder Gelegenheit auch zurück, denn jetzt bieten erste Lücken im Baumbestand eine tolle Sicht auf das herrliche Tal und die Berge im Lechtal.

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Geröll über Geröll

Ab hier gibt es nun keine Ausweichmöglichkeiten mehr für die Fußsohlen. Demzufolge müssen die Tritte von mir besonders achtsam gesetzt werden, schließlich ist das der erste Tag und morgen kommt es noch felsiger. Ich lächle über mein Geschick, ohne lange zu verharren, möglichst angenehme Schotterstellen für die Füße zu finden. Inzwischen findet mein geübtes Auge an der Oberfläche abgerundete Steine, oder dicht an dicht liegende Brocken, die sich nicht ganz so pisackend in die Fußsohlen bohren, wie einzeln liegende. Allerdings: gemein sind besonders die rauhen und scharfkantigen Geröllelemente, die nur zu gern nach Barfüßern Ausschau halten. 🙂

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Dann, ganz plötzlich, mündet der Geröllweg in eine Lichtung, als würde man in eine andere Dimension treten. Hier steht die Hitze, wird vom vor uns aufragenden Fels zurückgeworfen. Hier steht das Säulinghaus wie auf einem Hochplateau.

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Auf der Hütte wird erst mal das Matratzenlager bezogen und dann ausgiebigst die Aussicht genossen. Der Blick reicht über die kompletten Lechtaler und Allgäuer Alpen und den Talkessel von Reutte. Traumhaft. Ich kann mich nicht sattsehen.

WIR können uns nicht satt sehen 🙂

Umwerfendes Panorama

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Und geschmaust und getrunken wird, was die Hüttenküche so anzubieten hat. So lässt es sich leben.

Meine Empfehlung: Skiwasser. Ein halber Liter frisches Quellwasser mit einem Schuss Himbeersirup, mhh lecker. Wolfgang schwört auf Getreidesaft mit Schaum, mal mit und mal ohne Kick 🙂

Zeit zum „Schwimmen“ (auch 31 genannt) –  mit Doppelkopfkarten nicht ganz einfach…

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Ein Nickerchen kann man auch noch einschieben.

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Während Wolfgang immer wieder den Blick hebt und grübelt, ob das wirklich der richtige Weg für morgen ist…

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machen wir einen Spaziergang in die nähere Umgebung.

Den ich aber vorzeitig beende – denn Spazierengehen und gleichzeitig die Füße schonen, das geht hier oben nicht

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So vergehen die Stunden. Und dann kommt er, der heißersehnte traumhafte Sonnenuntergang. Eva sieht ihn nicht, sie horcht schon an der Matratze. Sie lebt eher nach japanischem Zeitrythmus, in Echtzeit… Dafür verpasst sie, anders als ich, keinen Sonnenaufgang. Dagegen fröne ich eher dem amerikanischen Ostküsten-Zeitschema – ebenfalls in Echtzeit… Nein, alles wild übertrieben, obwohl…

Sonnenuntergang am Säuling

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Später, als es komplett dunkel ist, leiste ich Eva auf dem Matratzenlager Gesellschaft und schlummere dem nächsten Tag entgegen.

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Der zweite Tag

Eva weckt mich. Die Sonne geht auf, die Berge leuchten im Morgenlicht. Zwar nicht ganz so dramatisch, wie am Abend zuvor, aber schö is scho…

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In der Stube gibt es inzwischen ein kräftiges Frühstück, dann geht es los zum Gipfelsturm. Eva mit ihren Leguano, ich weiter barfuß. 4 Jahre Barfußlaufen verpflichten zu unbeugsamem Heldentum. Es fällt mir wirklich leicht und bin entsprechend mit der Ausbildung meiner Sohlen sehr zufrieden.

Von der Hütte los ging ich noch barfuß, doch Schotter und scharfkantiger Kalkfelsen zeigten sich heute unbarmherzig. Am Einstieg in die Kletterpassage zog ich deshalb meine Leguano an, um die Fußsohlen zu schonen. Obwohl diese Minimalschuhe dem Barfußgefühl sehr nahe kommen, ist das wirklich ein großer Unterschied. Heute weiß ich, das ich sie gerade dort nicht gebraucht hätte. Das Bergaufklettern im Fels ist mit nackten Füßen angenehm und wesentlich einfacher und trittsicherer, als mit (Minimal-)Schuhen.

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Klettern ist angesagt

Der Aufstieg beginnt steil mit leichten Kletterpassagen. Drahtseile und Ketten erleichtern hier und da den Durchstieg von kniffligen und leicht ausgesetzten Stellen. Abgesehen davon geht es aber gut, auch barfuß. Hätte ich nicht gedacht.

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Als wir die Kletterei hinter uns haben, reiße ich voller Freude die Arme hoch. Entsprechend happy verstaue ich meine Leguano wieder im Rucksack – ab jetzt geht es wieder barfuß weiter.

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Wir machen eine kurze Pause in der Sonne, die jetzt über den Fels schaut und genießen das Panorama des Lechtals

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Danach steigen wir von der Felspassage aus auf die Gamswiese, wo wir das erste Mal hinüber auf die deutsche Seite schauen, mit der pittoresken Seenplatte des Alpenvorlands bei Füssen.

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Es geht weiter hinauf durch steile Wiesen und Felspartien zum Westgipfel

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Auf dem Gipfel

Hier lässt uns ein grandioses 360-Grad-Panorama den Atem stocken. Wir fallen uns in die Arme und genießen. Mit einem Freund macht es nochmal so viel Spaß, ist der Eindruck umso tiefer, umso nachhaltiger.

Das Glückgefühl, es barfuß hier hinauf geschafft zu haben, ist unbeschreiblich. Als Belohnung diese phantastische Aussicht in alle Richtungen – es könnte nicht schöner sein. Überdies dieses bombastische Wetter. Das sind gleich mehrere Hauptgewinne 🙂 Meinen Füßen geht es gut und das freut mich. Und das alles nach nur 1 Jahr Barfußlaufen!

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Nach kurzer Rast ziehen wir weiter durch eine steile Senke zum Ostgipfel, der noch einen Meter höher ist. Hier bleiben wir eine ganze Weile und genießen. Die Fernsicht ist ausgezeichnet, die klare Bergluft kein bisschen getrübt. Mei, is des schee.

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Wir sind sehr beeindruckt von den Bergdohlen, die hier oben  Leckerbissen von hungrigen Wanderern schnorren. Ihre Flugkünste in den Auf- und Abwinden sind faszinierend. Dabei lassen uns ihre Sturzflüge ins Tal oftmals den Atem anhalten.

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Der Abstieg

Kurzum, irgendwann müssen wir dann doch den Abstieg antreten. Und der ist lang und steil. 1200m hinunter nach Füssen. Also ziehen wir die Minimalschuhe an. Bergab ist die Belastung für die Füße dann doch wesentlich höher, und die lange Strecke fast durchweg steinig und felsig. Das muten wir uns dann doch nicht zu.

Folglich bleiben uns viele Möglichkeiten zum Fotografieren hier verwehrt – unsere Sicherheit geht vor, aber ein paar Aufnahmen können wir doch noch machen, als sich ein seltener geeigneter Platz findet.

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Zunächst geht es steil bergab mit Fels- und Kletterpartien. Hin und wieder gesichert durch Drahtseile und eine Eisenleiter.

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Der Fels liegt hinter uns

Anschließend geht es weiter durch Wiesenlandschaften bis der Weg schließlich in den Wald eintaucht, wo er auf kurzen Strecken sogar etwas barfußfreundlicher wird.

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Das letzte lange Stück bis zum Schloss Neuschwanstein verläuft öde über einen gesplitteten Fahrweg durch den Wald, in langen Serpentinen. Wir schwitzen und sind durstig. Aus diesem Grund nehmen wir die Gelegenheit dankbar wahr, vom Schloss aus das letzte Stück bis Füssen zusammen mit den zahlreichen Touristen im Bus zurückzulegen. Man kann hart zu sich selbst sein, aber man muss nichts müssen…

Mit zwei weiteren Bussen gelangen wir schließlich wieder nach Pflach in Österreich. Darauf erwartet uns noch ein letzter 3 km langer Fußmarsch zum Auto.

Der anstrengende Abstieg durch den Fels mit den vielen steilen Kletterpartien und der nicht enden wollende Schotterweg bis zum Schloß sind dann auch genug für meine Füße. Sie zwiebeln enorm – Wolfgang sagt dazu „die Füße sind sauer“. Andererseits bin ich aber froh, das sie unversehrt sind. Die Leguano bieten hervorragenden Halt und haben sich bestens bewährt. Es zeigen sich keine Blasen oder sonstigen Verletzungen. Rauh sind sie, weil das Kalkgestein ihnen die Feuchtigkeit entzieht – doch beim Ankommen im Wald gibt sich das schnell wieder, denn die Pfade sind morastig und teils noch pfützig von den Regenfällen der vergangenen Tage. Wolfgang verewigt sich…

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Schließlich klingt der Tag aus mit einem Bad im Forggensee… Man hört es förmlich zischen, als wir in das kühle Nass eintauchen…

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