Der Gig – eine Pony-Kutsche für Zwei
Der Atem stockt. Eben noch klapperten die Ponyhufe eine schmale Asphaltstraße eine kleine Anhöhe hinauf, nunmehr öffnet sich vor uns ein phantastisches Panorama: Die frisch verschneite sonnenbeschienene Bergkette der Ammergauer Alpen spiegelt sich in der Wasserfläche des Lechstausees, nicht weit entfernt vom früheren Flößerort Lechbruck. Das ist er, der Höhepunkt unserer Tour, bei dem das Pony wandert, während wir es uns derweil auf der gut gefederten und gepolsterten Bank unseres Gigs gemütlich machen. Ein Gig? Das ist eine Art Pony-Kutsche für zwei. Kutsche light sozusagen. Der Nachteil einer Gigtour ist: Das Pony treibt Sport und bleibt schlank, man selbst, nun ja…
Die Sonne lacht
Der Morgen hatte schon vielversprechend begonnen. Nach Tagen mit winterlichen Bedingungen strahlt nun die Sonne von einem wolkenlosen Himmel. In die Höhe kann man noch nicht, da ist alles wieder dick verschneit. Gerade noch musste die Bergwacht einen jungen Wanderer erschöpft bergen, der bei einem dreiviertel Meter Schnee versucht hatte, eine Hütte zu erreichen. Nein, die Zeichen stehen eher auf Touren im Alpenvorland. Mit dem Fahrrad, oder eben mit Marley, Eva’s Pony. Zur Auswahl stehen da Gepäcktouren, bei denen alle laufen, und Touren mit dem Gig, wo meist nur einer läuft, das Pony nämlich. Heute ist Letzteres an der Reihe, zumal der Gig neu in unserem Fuhrpark ist.
Vor dem Vergnügen kommt die Arbeit
Aber anders als bei einem Auto oder einem Fahrrad, bei dem man einfach ein- bzw. aufsteigt und losfährt, erfordert eine Gigtour eine Reihe von Vorarbeiten.
Das Pony muss gründlich geputzt werden, damit nachher nichts reibt, und das Pony ist einzuschirren. Ein komplizierter Vorgang. Alles in Allem vergeht da schon mal eine halbe Stunde und mehr, bevor es endlich losgehen kann.
Mit zur Ponyausrüstung gehören Hufschuhe, aber nur an den Vorderhufen. Hufschuhe bringen eine Menge Vorteile für das Pferd. Sie sind wie Minimalschuhe beim Menschen, die meiste Zeit kann das Pferd barfuß sein. Die Hufschuhe kommen nur dann zum Tragen, wenn die Untergründe für das Pferd unangenehm werden bzw. der Hufverschleiß zu groß wäre.
Pony’s legen größten Wert auf einen gepflegten Pony. Eva weiß das und das Pony weiß es zu schätzen…
Es geht los
Doch irgendwann ist das Pony frisiert, jede der beiden Gig-Anzen ins Selett gelegt, das Brustblatt mit den Zugsträngen angebracht, die Trense angelegt und die Fahrleine eingeklinkt. Jetzt kann es losgehen.
Marley verabschiedet sich noch schnell vom Hofhund Simba…
…bevor wir in die angrenzende Parklandschaft des Allgäu einfahren.
Eva genießt das Leben einer Gigpilotin, ich die Rolle eines zufriedenen Beifahrers und Fotografen.
Mal geht es im Schritt dahin, bei immer noch flotten 5,5 km/h, dann wieder im Trab und zuweilen sogar Galopp mit 10-12 km/h. Aber immer gemütlich, mit viel Zeit, die Traumlandschaft des Allgäu mit allen Sinnen wahrzunehmen. Zuweilen auch zu Fuß, doch davon später mehr.
Einige Kilometer von Roßhaupten entfernt erreichen wir den idyllisch gelegenen Huttlerweiher.
Erfahrung ist wichtig für’s Fahren
Zuweilen gilt der Begriff „gemütliches Fahren“ nur für mich als ahnungslosem Beifahrer.
Eva hat dagegen hin und wieder ein wenig Stress und alle Hände voll zu tun, Marley auf Kurs zu halten. Besonders dann, wenn es auf schmalen Dämmen dahingeht, wo ein wenig zu weit rechts oder links ungesunde Folgen haben könnte. Pony’s haben zuweilen einen typischen Ponydickschädel und eigene Vorstellungen über die optimale Routenführung. Und da muss dann eben doch hin und wieder etwas energischer geklärt werden, wer eigentlich das Sagen hat. Aber Eva hat eine Menge Erfahrung, das wird schnell klar.
Treff mit Pferdekollegen
So wird es dann auch interessant, als wir uns einer Pferdekoppel nähern, besiedelt mit bildschönen Rappen. Wie wir später erfahren sind sie eine Kreuzung aus Friese und Haflinger. Dafür, dass sie eher stämmig gebaut sind, haben sie ein recht ungestümes Temperament. Kaum haben sie sich gegenseitig wahrgenommen, führen Marley und seine Kollegen zunächst einen angeregten Dialog. Dann kommt Bewegung in die Gruppe. Bevor unser Pony beschließt, samt Gig und uns mit der Herde mitzurennen, springe ich dann doch lieber ab und nehme ihn am Zügel. Eva tut kurz darauf das Gleiche. Alles unkritisch, aber aufpassen muss man schon ein bisschen in solchen Situationen.
Da sind die Pony’s ein paar hundert Meter weiter schon von harmloserer Natur. Marley grüßt nur kurz und richtet seine Aufmerksamkeit bald wieder auf den Weg.
Durch Lechbruck
Wenig später erreichen wir Lechbruck, den Wendepunkt unserer Tour. Lechbruck liegt in Luftlinie 8 km nordöstlich von unserem Startpunkt Roßhaupten entfernt und hatte vor dem Bau einer Bahnstrecke und der Lechregulierung eine lange Tradition als Flößerdorf. Im ortsansässigen Flößermuseum wird diese Zeit wieder lebendig.
Aber heute ist keine Zeit dafür, Marley hat auch im Grunde nur wenig Interesse an heimischen Geschichtsthemen. Eine Messe mit Pferdeleckereien würde ihm schon eher liegen, so eine Art Pferde-Anuga. Da würde er dann liebend gerne einen Rundgang machen, gibt’s nur leider noch nicht.
Wir navigieren uns also mit Hilfe der Karte durch den Ort und rollen wenig später oberhalb des Lechs mit einem Traumblick auf die Ammergauer Berge entlang.
Am Lechstausee
Schließlich erreichen wir den Aussichtspunkt am Lechstausee, von dem schon am Anfang die Rede war. Doch, da hat der liebe Gott schon das Paradies auf Erden erschaffen.
Weiter geht es durch schmucke kleine Orte und pittoreske Wiesenlandschaften.
Zuweilen muss Marley auch stramme Steigungen hinauf klettern. Da heißt es dann auch für uns, wieder Barfußkontakt mit dem Boden aufzunehmen. Wer sein Pony liebt, der … nein, schieben muss man nicht, aber laufen hilft dem Pony beim Ziehen und unseren Gelenken, mal wieder ein wenig geschmiert zu werden.
Fast den ganzen Weg über begleiten uns die Berge.
Marley trottet beharrlich und ausdauernd Kilometer um Kilometer. Wir sind stolz auf ihn.
Wiedersehen mit Stallgenossen
Plötzlich aber kommt Bewegung in unser Pony. Es hat nämlich jemand wiedererkannt. Zwei alte Stallgenossen, Moritz und Mighty, die ein Jahr lang im Paddock nebenan standen und jetzt hier in einem tollen Offenstall ein neues Zuhause gefunden haben. Ein aufgeregtes und fröhliches Gewieher geht hin und her. Ist das ein Wiedersehen!
Heimat in Sicht
So langsam geht es heimwärts. 22 km nach unserem Start kommen die Häuser und die Kirche von Roßhaupten in Sicht.
Bevor wir zurück zum Stall fahren, drehen wir noch eine Runde über den Marktplatz von Roßhaupten mit seinem österlich geschmückten Brunnen und dem Mehrgenerationenhaus „Mitanand“.
Eine schöne Tour war es heute. 25 km weit hat Marley uns brav gezogen. Man merkt es ihm an, dass er am Ende doch ein wenig müde wurde. Und Eva spürt in ihren Armen sehr deutlich, dass das Lenken eines Gigs auch eine Art Ausdauersport ist.
Und was merke ich? Meine Knie sind ein wenig steif, sonst ist alles o.k. Können wir gerne bald mal wieder machen…
Ich bin Jahrgang 1955, Vater zweier erwachsener Töchter, und verbringe seit dem Sommer 2016 viel Zeit im traumhaft schönen Allgäu bei Füssen, wo Eva schon länger ihr Zelt aufgeschlagen hat. Hier kann ich zusammen mit ihr meiner Berg- und Radfahrleidenschaft frönen. Barfuß lebe ich seit 2012. Ich bin Autor von „Fünf Jahre barfuß„.
Nun komm ich endlich mal zum Lesen Eurer traumhaften Unternehmungen ! Wie gerne hätte ich die Tour zum Lechstausee mitgemacht…… Diese Kulisse – einfach zum Niederknien ! Aber zum Glück hab ich ja die Berge immer im Blick…. Wunderschön, Eure Beiträge, ob mit dem Winzer oder der Flechthexe oder oder…….
Es gibt hier so viele Möglichkeiten in unserer Traumlandschaft, auch weiter westlich bei Seeg, wo wir heute mit Gig unterwegs waren. Neben Eva ist ab und zu ein Beifahrerplatz frei… 😉
Eine schöner Bericht : eine sehr schöne Landschaft. Ja, dieser Ausflug mit dem Pferd ist super !!!
Dazu ist eine gute Angelegnheit, barfuss zu laufen.
Herzlichsten Grüssen
Erik (Frankreich)
Herzlichen Dank, Erik 🙂
Der Beitrag findet natürlich meinen besonderen Beifall. Was ist der Marley doch für ein Schatz! Mit einem so ruhigen, ausgeglichenen Pferd machen solche Ausflüge Spaß. Leider kenne ich nur welche, bei denen man als Mitfahrer Blut- und Wasser geschwitzt hat und froh war, wenn man endlich absteigen konnte. Eure gewählte Route ist ja landschaftlich wirklich herrlich und erstmal Richtung Lechbruck für Marley nicht so anstrengend, die Rückfahrt aber über Helmenstein ist nicht ohne, da hat sich der arme Junge schon recht plagen müssen. Ich hoffe, er hat danach eine ordentliche Schüssel Futter bekommen.
Die Steigung bei Helmenstein hat es tatsächlich in sich, weshalb wir dort hinauf neben Marley gelaufen sind – das tut uns selbst gut und schließlich sind wir ja keine Barbaren 😉 . Und am Ende lockte die Weide mit sattem Gras – inkl. ausgiebigem Wälzen und Relaxen bis zum Abend. Ja, Du hast Recht, die Landschaft ist einfach immer wieder reizvoll und hier im Voralpenland kann man auch mal ohne große Steigungen auskommen.
Was eine wunderschöne Landschaft 🙂
Ich finde Eure Berichte immer wieder super.
Danke, das freut uns sehr!