Hoch auf dem Berg – mit schlechtem Gewissen
Hier stehen wir nun, mit einem ziemlich schlechten Gewissen. Zumindest ich. Zwei Mal war ich schon hier oben, an der Hörnlehütte und auf den Gipfeln der Hörnlegruppe, dem absoluten Barfußhauptziel der Ammergauer Alpen, ach was sag ich, vielleicht der gesamten Alpenregion zwischen Bodensee und Salzburg. Alle waren sie schon hier, der berühmte Martl Jung z.B., seines Zeichens Barfuß-Alpenüberquerer; der allseits bekannte Lorenz Kerscher, Barfußpfadpionier und Spitzenbarfußwebseiten-Betreiber; auch der Barfußwander-Starautor Eduard Soeffker stieg hier rauf, sogar samt Fernsehteam. Von ihm stammt auch der Wandertipp.
Selbst der sagenumwobene Immenstädter Mittag-Yeti soll schon hier oben gesichtet worden sein. Und alle sind die 600 Höhenmeter selbstredend komplett zu barem Fuß hochgestiegen. Das geht ganz prima hier, über steile Wiesen und erdige Waldpfade. Der Eduard hat die Tour in seinem Wanderführer sehr zu Recht in den höchsten Tönen gelobt. Zumal man oben ein Panorama der Extraklasse serviert bekommt.
Aber, wie schon gesagt. Zweimal hab ich die Tour auch schon gemacht, komplett barfuß! Von Kappel bei Unterammergau aus, mit sämtlichen verfügbaren Hörnles, 1000 Höhenmeter insgesamt.
Aber heute eben nicht. Heute sind wir nicht barfuß heraufgekommen. Oder halt, doch, barfuß schon, aber mit der „Schwebebahn“. So heißt nämlich der Sessellift mit schnuckeliger Uralttechnik, der schön gemütlich von Bad Kohlgrub hinauf zur Hörnlehütte auf 1390m zuckelt. Oben bietet der Lift dann ein besonderes Schmankerl. Man hat zielgenau auf einer Bodenplatte mit Fußmarkierung zu landen und dort stehenzubleiben, derweil die Sitze vom Personal gleichzeitig rechts und links weggeschwenkt werden. Präzisionsarbeit aller Beteiligten.
Ausreden
Natürlich haben wir für unseren Schwebebahn-Fehltritt jede Menge Ausreden parat. Denn erstens drohte die Wettervorhersage am Nachmittag heftigen Regen schon ab drei Uhr an. Und wir wollten vorher noch sämtliche vorerwähnten Hörnles mitnehmen, als da wären das Vordere, das Mittlere und – richtig – das Hintere Hörnle. Da geht’s allweil stets stramm steil bergauf und wieder runter. Und überhaupt wollten wir auch noch was von der Aussicht haben. Noch war die Sicht nämlich phänomenal bei glasklarer Luft. Das ist wichtig auf den Hörnles, das zeig ich Euch gleich. Und wie lange das noch so bleiben würde, war weniger klar.
Also, ich denk mal, dass die uns trotz des Fauxpas doch noch in den Barfußhimmel lassen.
Der Wahnsinn
Also, wenn man oben an der Hörnlehütte ankommt, dann steigt man erst mal ein paar Meter rauf zum Zeitberg, dem Aussichtspunkt bei der Hütte. Und staunt. Man kann da zum Beispiel weit ins Alpenvorland, den Pfaffenwinkel, schaun. Und dort sieht man heut‘ einfach alles. Zum Niederknien. Alle Seen zum Beispiel. Den Starnberger, den Ammer- und ganz nah den Staffelsee. Im Hintergrund ist prima München zu erkennen, samt Fernsehturm im Olympiapark. Nach Westen hin sieht man bis zum Aggenstein bei Füssen, nach Süden hin dominiert das Wettersteinmassiv samt Zugspitze die Szenerie, nach Osten reicht der Blick erst einmal nur bis zum Vorderen Hörnle, das blockiert den Blick in die Ferne. Erst einmal…
Selbst ein Gipfelkreuz gibt es an der Hütte, da muss der Schwebebahnfahrer auf nichts verzichten.
Und Frühlingsenzian gibt es als botanische Zugabe.
Auf’s Vordere Hörnle
Aber wir wollen ja noch weiter. Erst mal auf das Vordere Hörnle (1484 m) ganz in der Nähe. Da liegt noch reichlich Schnee, aber der steile Pfad 90 Höhenmeter hinauf ist schneefrei und somit barfuß problemlos zu meistern.
Überhaupt sind die Hörnles allesamt sanft geschwungene Grasbuckel. Das liegt am Untergrund, der vom „Flysch“ gebildet wird. Das ist ein ziemlich instabiles Sedimentgestein, geformt aus Kalk- Mergel-, Sand- und Ton. Ideal für unsere Zwecke.
Am Gipfel des „Vorderen“ wartet schon das nächste Kreuz auf uns. Wahrscheinlich bleibt das auch für den gewöhnlichen Schwebebahnbergstürmer das ultimative Bergziel.
Die Sicht ist aber eher schlechter als vom Aussichtspunkt an der Hütte. Theoretisch könnte man jetzt auch weit Richtung Osten schauen, praktisch blockiert aber der Wald am Gipfel die Sicht. Dafür schaut man hinab nach Unterammergau, von wo aus man normalerweise die Barfußtour auf die Hörnles startet.
Etwas weiter unten die Hörnlehütte.
Der Blick geht auch in Richtung des Mittleren Hörnles (1496 m), das normalerweise unser nächstes Ziel wäre. Aber es ist verschneit, und ich weiß von meiner letzten Tour, dass der Untergrund dort extrem rutschig ist. So bestimmt auch heute, denn wir haben Tauwetter.
Zum Hinteren Hörnle
Das lassen wir lieber, finden wir und entschließen uns, am Fuße des Mittleren zum Hinteren Hörnle (1548 m) zu laufen. Auf dem Pfad liegt teilweise ebenfalls Schnee, aber wir bleiben erst mal barfuß.
Auf den Schnee folgt Splitt, die Grasflächen nebendran sind vom Schnee bedeckt. Etwas weiter lauert noch mehr Schnee. Die Füße sind vom Sulz kalt und aufgeweicht, jedes Steinchen wird ziemlich lästig. Und da holen wir sie erstmal lieber heraus, unsere Notschuhe. Ich meine Aqua Sphere und Eva ihre Leguano.
Weiter geht es Richtung Hinteres Hörnle (links) und Stierkopf.
Ein Stück weiter Richtung Hinteres Hörnle geht es dann wieder „ohne“. Unterwegs geht der Blick zurück zu Mittlerem (links) und Vorderem Hörnle.
Auf dem Bild nicht gut zu sehen ist eine Besonderheit der Hörnles. Es gibt da nämlich Schutzkäfige für Menschen, die den Wanderer wohl bei der Brotzeit vor allzu aufdringlichen Kühen bewahren sollen. Hundebesitzer bekommen die Möglichkeit, die zuweilen kritischen Begegnungen mit Mutterkühen „auszusitzen“.
Hier eine Nahaufnahme aus „grünen Tagen“, übrigens die gleiche Perspektive wie auf dem vorigen Bild. Ihr seht, wie barfußfreundlich die Hörnlegruppe in der schneefreien Zeit ist.
Ohne „Hinteres“ zum Stierkopf
Als wir uns dem Gipfel des Hintern Hörnles nähern wird endgültig klar, dass dort Schnee liegt, und auch der Pfad dort hinauf ist schneebedeckt.
Von meiner letzten Tour weiß ich aber, dass man aussichtsmäßig nichts verpasst, wenn man auch diesen Gipfel links liegen lässt und direkt weiter zum Stierkopf (1533 m) wandert, der das Ende der Hörnlekette markiert.
Auf diesem Weg müssen wir zwar auch mit dem Schnee klarkommen, aber es geht barfuß ganz gut.
Auf der Strecke genießt man Tiefblicke nach Osten Richtung Murnauer Moos, das mit 32 km² das größte, zusammenhängende, naturnah erhaltene Moorgebiet Mitteleuropas darstellt.
Am Stierkopf selbst wartet dann der ultimative Panoramablick. Die gesamte Alpenkette vom Wendelstein bei Bayrischzell im Osten bis zum Grünten bei Sonthofen im Westen präsentiert sich bei bester Sicht. Einfach gigantisch.
Schließlich noch ein Blick nach unten…
…und nach oben…
Barfuß haben wir es hier herauf geschafft, fast die ganze Strecke, trotz der widrigen Bedingungen. Wir sind zufrieden…
Zurück zur Hütte und ins Tal
Zurück geht es wie auf dem Hinweg, nur dass wir diesmal die Besteigung des Vorderen Hörnles Anderen überlassen…
Auf der inzwischen von einer Unmenge anderer Bergfreunde belagerten Hütte (es ist Samstag…) gibt es für uns nach angemessener Wartezeit eine zünftige Brotzeit. Und anschließend die Fahrt mit der Schwebebahn beschaulich zurück ins Tal.
Eins wurmt, während wir nach unten schweben: Die Sonne scheint, die drohenden Wolken haben sich verzogen, die Wetterfrösche haben sich geirrt. Aber was soll’s.
Die Vorhersage hab ich mir aber vorsorglich ausgedruckt, als Beweis. Falls es Schwierigkeiten an der Pforte zum Barfußhimmel geben sollte…
Ich bin Jahrgang 1955, Vater zweier erwachsener Töchter, und verbringe seit dem Sommer 2016 viel Zeit im traumhaft schönen Allgäu bei Füssen, wo Eva schon länger ihr Zelt aufgeschlagen hat. Hier kann ich zusammen mit ihr meiner Berg- und Radfahrleidenschaft frönen. Barfuß lebe ich seit 2012. Ich bin Autor von „Fünf Jahre barfuß„.