Drei Wochen durch den Norden Norwegens
Gerne knüpfe ich an den Reisebericht von Mareike Maschke «Norwegen barfuss erleben» an. Ich habe es dieses Jahr, im August, wieder einmal gewagt, barfuss nach Skandinavien zu reisen. Bei der Planung dieser dreiwöchigen Radtour (plus eine Woche für Hin- und Rückreise) durch Nordnorwegen habe ich mich entschieden, wie in früheren Jahren konsequent barfuss unterwegs sein zu wollen. Ich wusste, was auf mich zukommen würde, wenn ich in Norwegen auf das Tragen von Schuhen verzichte. Dass sich die Temperaturen im August im hohen Norden innerhalb meines Wohlfühlbereichs (ab 11 – 12 Grad Celsius aufwärts) bewegen würden, davon konnte ich aufgrund der Erfahrungen früherer Reisen ausgehen. Und – ich bin es gewohnt, auch bei Nässe barfuss zu gehen. Gute Voraussetzungen, um das Unterwegssein geniessen zu können. Allerdings habe ich für «Notfälle» ein Paar Flipflops im Gepäck mitgeführt.
Die Inselgruppen der Lofoten, der Vesteralen und von Senja und das meeresnahe Festland nördlich des Polarkreises, östlich von Tromsö entlang der Lyngen Alpen, sind mir von früheren Radreisen vertraut, und doch weiss ich um das Glück, immer wieder neue landschaftliche Perlen zu finden. Einige dieser besonders reizvollen Orte, mit dem Fahrrad gut erreichbar, möchte ich in diesem Beitrag vorstellen.
Mit dem ÖV nach Norwegen
Die Hinreise mit dem Nachtzug nach Hamburg und weiter bis Kopenhagen, die Fahrt mit der Fähre nach Oslo und mit der Bahn nach Bodö, nach einem Zwischenhalt in Trondheim, ist lang, aber abwechslungsreich und mit dem ÖV barfuss ohne Hindernisse oder Einschränkungen zu bewältigen. Selbst auf der grossen Fähre nach Oslo nimmt kaum jemand Notiz von meinem Barfusssein. Auch in den Zügen in Norwegen brauche ich mich wegen meiner blossen Füsse nicht zu rechtfertigen; es sind jedenfalls keine Reaktionen erkennbar. Bodö im Nieselregen bei 14 Grad – das ist für mich gut erträglich; ich bin in der Stadt ganztags barfuss unterwegs. Auf der Fähre von Bodö nach Moskenes Richtung Lofoten werde ich zweimal von Mitreisenden angesprochen: «Is it not too cold and too wet?», «You must have cold feet.»
Reiseroute
Während der folgenden drei Wochen fahre ich von Süden Richtung Norden, mit der Absicht, wenn immer möglich entlang des Meeres und auf wenig befahrenen Strassen zu radeln. Manchmal sind Alternativen aber nicht vorhanden, und ich muss auf Hauptstrassen mit viel Verkehr ausweichen. In Norwegen sind viele Strassen asphaltiert. Es gibt einige für Fahrräder geeignete «gravel roads», die bei Nässe aber mit besonderer Vorsicht, weil rutschig, zu befahren sind. Auf den Lofoten sind zudem ausgeschilderte asphaltierte Fahrradwege rund um Städte oder grössere Dörfer vorhanden.
Insgesamt habe ich während der drei Tourenwochen 1250 km Wegdistanz und 11800 Höhenmeter zurückgelegt, mit Tagesetappen zwischen 30 und 115 km, je nach Witterung, Windrichtung und Stimmung. Ab und zu sind es ambitionierte, anspruchsvolle Etappen, manchmal sitze ich bloss für zwei Stunden auf dem Rad oder lege gar einen «Ruhetag» ohne Radeln ein. Dann unternehme ich Wanderungen oder geniesse das Sein irgendwo an einem hübschen Platz am Meer.
Barfuss in Skandinavien? Ja! Aber…
Ohne Schuhe nach Skandinavien … Ja, das geht immer noch prima. Den Boden oder die Pedalen unter den Füssen zu spüren – ein befreiendes, glücklich machendes Gefühl. Etwas «abgehärtet» resp. erfahren im Umgang mit garstigem Wetter sollte die Radlerin, der Radler aber schon sein, um barfuss auch bei eher kühleren Temperaturen und Nässe die Freude am Unterwegssein nicht zu verlieren. Norwegen kann traumhaft schön sein, aber auch, zum Beispiel bei starkem Wind und Regen, zur Herausforderung werden, eine grosse Portion Durchhaltewillen ist von Vorteil. Schönwetter-Phasen – es kann durchaus eine ganze Woche wolkenlos sein – sind keine Seltenheit, und Dauerregen über einige Tage hinaus ist auch nicht die Ausnahme … Norwegen, im Speziellen Nordnorwegen, ist keine Feriendestination für Sonnenhungrige und Kälteempfindliche, aber für Naturliebhaber, die mit gemässigten Temperaturen und Feuchte umzugehen wissen.
Das unbeständige Wetter hat mich auf dieser Reise ab und zu herausgefordert. Etliche Regentage auf dem Fahrrad, ein immer wieder durchnässtes Zelt, manchmal weit und breit kein Campingplatz … das kann ganz schön anstrengend sein. Der häufige Regen hat mich jedenfalls vom Barfussfahren auf dem Rad und von Wanderungen nicht abhalten können. Und – die wenigen Sonnentage waren dafür umso eindrucksvoller. Dann erstrahlt die Landschaft in einem einmaligen, alles durchdringenden Licht, und die Farben der Natur entfalten ihre ganze Wirkung.
Nordische Städte sind barfussfreundlich, im Vergleich zu Städten in südlichen Ländern relativ sauber, «scherbenfrei», und die Gehsteigbeläge sind mehrheitlich so gestaltet, dass sie problemlos mit blossen Füssen begangen werden können. Allerdings gibt es auch in Städten etliche nicht asphaltierte Wege und Strassen.
Bei Museums-Besuchen, z.B. im Hurtigruten-Museum in Stokmarknes – innen und aussen sehr sehenswert – auf den Vesteralen oder bei Visiten in kleinen Kunstateliers werden mir wegen meiner Barfüssigkeit keine Steine in den Weg gelegt. Ich fühle mich stets willkommen und werde ohne Komplikationen eingelassen.
Mein Fahrrad ist mit Barfusspedalen ausgerüstet, was ein überaus angenehmes Fahren ermöglicht; damit habe ich seit vielen Jahren gute Erfahrungen gemacht. In den Packtaschen ist alles Nötige eingepackt (wetterfeste Kleidung, Zelt, Schlafsack, Kocher und Nahrung für mehrere Tage), damit ein möglichst unabhängiges Reisen mit «Freedom-Camping» auch abseits der offiziellen Zeltplätze praktizierbar ist. Das skandinavische Jedermannsrecht ermöglicht es Reisenden, ausserhalb bewohnter Gebiete eine Nacht in der freien Natur zu verbringen, vorausgesetzt, die Plätze sind nicht abgesperrt oder mit einem Verbot markiert.
Etwas eingeschränkt bin ich, ohne Schuhe, beim Wandern. Ich habe ab und zu zwei Tage am gleichen Ort übernachtet, das Fahrrad «links liegen gelassen» und an diesen «Ruhetagen» Wanderungen unternommen, auf Wegen, die nicht mit Steinen gespickt waren. Das geht barfuss ganz gut, ich bin es gewohnt, auch wenn ich, um keine Risiken einzugehen, keine hohen Gipfel erklimme. Was mir aufgefallen ist: Während der ganzen Reise bin ich nie einer Barfussgängerin oder einem Barfussgänger begegnet, auch nicht auf den Campingplätzen.
Gefühle – sich selbst treu bleiben
Etwas Mut braucht es schon – und im hohen Norden aufgrund der Witterung ab und zu auch Überwindung und Widerstandskraft – um konsequent barfuss unterwegs sein zu können. Manchmal habe ich beim Reisen, auch in anderen Ländern, den Eindruck, ich sei ein Exot, bloss weil ich keine Schuhe trage. Meine Hemmungen, barfüssig zu sein und deswegen aufzufallen, habe ich im Laufe der Jahre reduzieren können. Bloss weil andere Menschen beim Anblick barfüssiger Menschen irritiert sind, brauche ich keine Hemmungen zu haben. Ich darf zu meiner Barfüssigkeit stehen, es ist doch eigentlich etwas Natürliches. Ich habe gelernt, dass ich mein ausgeprägtes Bedürfnis, barfuss leben zu wollen, nicht verdrängen oder mich dem Druck der Gesellschaft fügen muss, schliesslich leidet niemand darunter, wenn ich mit blossen Füssen bin. Klar, auf der Fähre, in Lebensmittelgeschäften, in Hotels oder bei Begegnungen mit anderen Fahrradreisenden sind überraschte, verwunderte, fragende, gelegentlich auch «stechende» Blicke unvermeidlich – damit gut zu leben und sich nicht verunsichern zu lassen, ist bei mir ein kontinuierlicher Prozess. Ich begegne skeptischen Blicken wenn immer möglich mit einem Lächeln.
Wegen meiner Vorliebe fürs Barfusslaufen habe ich mir schon viele Sprüche eingehandelt – und mich mit kleineren Verletzungen an den Füssen herumschlagen müssen. Das ist der Preis, den ich zu zahlen bereit bin, um dafür meine Füsse nicht in Schuhe zwängen zu müssen. Allerdings halten sich die negativen Erfahrungen oder unfreundliche Begegnungen, weil ohne Schuhe unterwegs, bei dieser Reise in engen Grenzen. Barfuss bei heftigen Regenschauern durch Tromsö zu fahren, auf der Suche nach einem geeigneten Hotel (nach einer längeren Regenphase war es Zeit für ein warmes Bett und eine Pause zum Trocknen des Zeltes), erregt Aufsehen, sorgt nun mal für Erstaunen, das lässt sich nicht vermeiden. Klar, die etwas ratlosen Blicke der Rezeptionistin in Sortland auf den Vesteralen (da zog ich es wegen anhaltenden Niederschlägen ebenfalls vor, aufs Campieren zu verzichten und den Hotelkomfort zu geniessen) auf meine blossen, unvermeidlich schmutzigen Füsse sind nicht gerade erhellend.
Und ja, es gibt auch Momente und Situationen, da hätte ich mir gewünscht, geschlossene Schuhe dabei zu haben. Zweimal musste ich vorzeitig bei Wanderungen umkehren, weil der Weg immer gröber und steiniger wurde resp., weil die Wegspur rutschig und matschig war. Auf der langen Tagesetappe von Brensholmen via Nordfjordbotn über die Hochebene von Kattfjordeidet auf der Insel Kvaloya Richtung Tromsö – im strömenden Regen auf dem Fahrrad – wären auch meine Flipflops keine Erleichterung gewesen. Oder die unangenehm kühlen Tage südlich des Öksfjord, da habe ich schon etwas gezaudert und mich gefragt, was ich hier barfuss zu suchen habe … Und dann folgt ein sonniger, warmer Tag, und alle Mühsal und Zweifel sind verflogen und das Unterwegssein ohne Schuhe macht einfach nur wieder Freude und tut gut.
Auf dem Schiff – mit Hurtigruten oder Havila
Eine Fahrt mit den Postschiffen des Unternehmens «Hurtigruten» oder den seit 2022 auf der gleichen Strecke verkehrenden Schiffen von «Havila» ist immer ein Ereignis. Fantastische Ausblicke auf die Küstenlinie, interessante Anlegemanöver an kleinen Häfen und Begegnungen mit anderen Fahrradreisenden, die ebenfalls eine Teiletappe auf dem Schiff zurücklegen, sorgen für Abwechslung. Die Schiffe sind nicht überfüllt, es findet sich immer eine ruhige Ecke. Ich mag die Strecke von Öksfjord nach Svolvaer – zurück auf die Lofoten, in der Hoffnung, dass Ende August, zum Ende meiner Reise, weniger Autos auf den Strassen unterwegs sind – und stehe oft an der Reling, um die sich dauernd verändernde Landschaft zu verfolgen.
Auf den Lofoten komme ich allerdings nur bis Leknes. Von da führt ein kurzer Abstecher noch nach Uttakleiv, wo für einmal einige Sonnenstrahlen zwischen den Wolken für eine grossartige Stimmung sorgen. Sturmwarnungen am drittletzten Tag meiner Reise und heftiger Regen veranlassen mich, meine Flipflops doch noch anzuziehen, geschlossene Schuhe wären jetzt geeigneter gewesen. Der Wind hat stark aufgefrischt und weht in Orkanstärke, die Temperatur sinkt auf 10 Grad. Grössere Brücken sind zeitweise geschlossen, die Fahrt zurück nach Svolvaer wird zum Hindernislauf. Barfuss geht da auch bei mir nichts mehr …
Fazit und Rückblick
Ich denke sehr gerne an diese abenteuerliche, erlebnisreiche Fahrrad-Reise durch die faszinierende Landschaft Nordnorwegens zurück, trotz eher dürftigem Wetter. (Bildergalerie lässt sich mit Klick auf ein Bild öffnen)
Sieben Highlights dieser Reise
Einige Radetappen und Wanderungen bleiben mir in besonders nachhaltiger Erinnerung. Sieben Highlights der vergangenen Reise (aufgeführt von Süden nach Norden) möchte ich nachfolgend gerne vorstellen. Dass diese Orte bei Sonnenschein einen ganz anderen Eindruck hinterlassen, als wenn es regnet oder wenn düstere Wolken für ein graues Ambiente sorgen, versteht sich von selbst.
Sandstrände bei Uttakleiv und Vik Beach (Lofoten)
Sonnenuntergänge in Uttakleiv sind wohlbekannt. Der lange Sandstrand und die Möglichkeit, das Zelt auf einer riesigen Wiese in unmittelbarer Nähe zum Meer aufzustellen, üben einen grossen Reiz aus. Attraktiv, weil aussichtsreich, ist auch die Wanderung (oder Radfahrt auf der Naturstrasse) entlang des Bergrückens von Uttakleiv zur Vik Beach; sie ist weniger bevölkert und weist auf der Südseite schöne, eindrückliche Steinformationen auf.
Fahrradstrecke Stamsund – Valberg – Sundklakkstraumen bru (Lofoten)
Die von Autos wenig befahrene Strecke beeindruckt mit oft wechselnden Ausblicken aufs Meer und auf die umliegenden Berge. Eine vielseitige Strecke, links und rechts der Strasse gespickt von winzigen Seen und tiefgrünen Mooren, steilen Bergflanken, kleinen Sandstränden und der Weite des Meeres.
Fahrradstrecke Fiskeböl – Grunnförfjord – Straumes; Sandsletta Camping südlich von Laukvika; Sildpollnes Sjöcamp im Austnesfjorden (Lofoten)
Tiefeingeschnittene Fjorde, bewaldete Hänge und weite Sandstrände wechseln sich in rascher Folge ab. Die Strasse ist kurvenreich, aber ohne grosse Anstiege – ein «humaner» Einstieg in eine Tourenwoche mit dem Rad. Der Sandsletta Camping ist ein hübscher, gut ausgestatteter Platz und liegt direkt am Meer. Mit kleinen, vom Campingplatz zur Verfügung gestellten Booten kann die nähere Umgebung vom Meer aus betrachtet werden. Nur 12 km östlich von Sandsletta entfernt befindet sich einer der schönsten Campingplätze der Lofoten: «Sildpollnes Sjöcamp». Die Lage ist einzigartig, und der Platz bietet für Zelte aussichtsreiche, von lockeren Baumgruppen umgebene, kleine Stellflächen. Von hier aus ist es nicht mehr weit bis Svolvaer.
Sandstrand und Camping Stave (Vesteralen)
Ein Ort zum Verweilen, mit Zeltplatz direkt am Meer, Hotpot und fantastischer Aussicht auf die Abendsonne, mit der Möglichkeit zu langen Spaziergängen entlang des Strandes Richtung Süden und Norden. Von hier aus ist ein Tagesausflug mit dem Fahrrad nach Andenes ganz im Norden der Vesteralen möglich.
Seen- und Felsenplatte Tungeneset (Senja)
Kleine Seen und faszinierende Steinformationen, Natur pur; am Morgen bei Sonnenaufgang oder noch besser am Abend vor Sonnenuntergang herrscht dort eine grossartige Atmosphäre mit faszinierenden Ausblicken, man kann sich nicht sattsehen. Tagsüber ist dieser magische Ort aber von Touristen bevölkert.
Fahrradstrecke Olderdalen – Nordmannvik – Djupvik – Rotsund – Ravelseidet (Lyngen Alpen)
Coupiertes Gelände mit vielen kleinen Aufstiegen und Abfahrten und beeindruckenden Ausblicken auf die schneebedeckten Berge der Lyngen Alpen. In Djupvik befindet sich – nach Angaben des Betreibers – der schönste Zeltplatz Norwegens. Na ja, aber die Fahrt entlang der Lyngen Alpen ist es alleweil Wert, hier unterwegs zu sein.
Fahrradstrecke Öksfjord (südwestlich von Hammerfest)
Abseits vielbefahrener Strassen führt die Strecke entlang des einsamen, prägnanten Fjords bis nach Öksfjord, mit Blick auf Gletscher und Berggipfel. Unterwegs finden sich schöne Stellplätze für «wildes Campieren». Im Städtchen Öksfjord halten täglich zwei Schiffe von Hurtigruten oder Havila und fahren entweder Richtung Südwesten (Tromsö, Svolvaer) oder Richtung Nordosten (Nordkap, Kirkenes).
Interessiert an der gewählten Reiseroute? Gerne erteile ich weitere Auskünfte. Skandinavien ahoi – ich werde wiederkommen – natürlich barfuss, auf altbekannten und neugewählten Strecken.
Martin Tiefenbacher
Nach vielen Jahren beglückender Berufsarbeit als Lehrer, Schulleiter, Programmleiter und Dozent an einer Hochschule in der Zentralschweiz habe ich, Jahrgang 1959, meinen Lebensmittelpunkt nun im Kanton Graubünden. Ich wandere gerne in den Bergen und bin oft mit dem Rennrad in der Schweiz unterwegs. Jedes Jahr unternehme ich eine längere Fahrradtour in Europa, vorzugsweise im Norden. Das Barfusslaufen habe ich vor 30 Jahren, während meines ersten Aufenthalts 1994 in Neuseeland, wiederentdeckt. Ich bin von Frühling bis in den Spätherbst hinein oft und sehr gerne barfuss unterwegs, zu Fuss und auf dem Fahrrad, in der Stadt, im Wald, beim Reisen und auch auf Wanderwegen in den Bergen.